Calberwisch

Der Ortsteil Calberwisch stellt sich vor:

Foto: Corrie Leitz

Kirche in Calberwisch

Foto: Hansestadt Osterburg

Schloss in Calberwisch

Foto: Ralf Engelkamp

Straßenansicht von Calberwisch

Calberwisch ist ein idyllisch gelegenes, langgestrecktes Dörfchen am Rand der Wische mit einer eher lockeren, unmittelbar in die umgebende, üppige Natur, Wiesen und Felder eingefügten Bebauung. Das nur wenige Kilometer von Osterburg gelegene Dorf, ist seit  Juli 2009 Teil der Einheitsgemeinde Osterburg. Vor allem durch sein 1875 im Stil der Neorenaissance errichtetes Schloss ist Calberwisch nicht nur in der Region bekannt. Das Schloss befindet sich heute einschließlich des umgebenden Geländes in Privatbesitz und ist daher nicht zu besichtigen. Stattdessen sollte man unbedingt dem romantisch wirkenden Friedhof am nördlichen Dorfende einen Besuch abstatten. Dort gibt es nicht nur an der Dorfkirche aus spätromanisch-frühgotischer Zeit viele interessante Details zu entdecken.


Calberwisch im Mittelalter, die Familie von Jagow und Schloss Calberwisch

Dass das Dorf einst durch den Grafen Werner III. von Osterburg mit Hilfe sächsischer Kolonisten angelegt worden sei, gehört wohl ebenso ins Reich der Legende wie die These, dass der Graf Heinrich von Osterburg um 1164 /1169 die Calberwischer Kirche erbauen lassen hat. Sicher ist hingegen, dass sich eine adlige Familie von Calberwisch nach dem Dorf benannte, welche 1271 erstmals urkundlich erwähnt wurde, den Rittersitz aber spätestens im 15. Jhdt. schon nicht mehr inne hatte. Dieser gelangte zunächst in den Besitz der Familie von der Schulenburg, dann der Familie von Königsmark und schließlich 1524 der Familie von Jagow, bei welcher er seitdem für mehr als 400 Jahre verblieb.

Besucht man heute Dorf Calberwisch, so nimmt vor allem das imposante, 1875 im Stil der Neorenaissance errichtete Schloss die Aufmerksamkeit in Anspruch. Es stellt unter den Herrenhäusern des ausgehenden 19. Jhdt. eines der eindrucksvollsten Baudenkmale in der östlichen Altmark dar und besitzt nicht zuletzt durch die Namen seiner Baumeister – Professor Martin Gropius und Baurat Heino Schmieden - überregionale Bedeutung. Der Bauherr - Bernhard von Jagow, Major des Gardes du Corps - hatte erst kurz zuvor, im Jahre 1874, mit seiner Gattin Johanna von Pourtalès - Tochter des kunstsinnigen Grafen Pourtalès in Berlin - den von Jagow’schen Besitz in Calberwisch übernommen. Das frühere, 1692 nochmals gründlich restaurierte Herrenhaus, ein offenbar stattliches Fachwerkgebäude auf massiven Grundmauern, war bereits 1839 wegen Baufälligkeit abgebrochen worden. Das Calberwischer Schloss war Teil eines ausgedehnten Rittergutes, von welchem noch weitere Gebäude erhalten sind, und welches bis 1945 im Besitz der Familie von Jagow war.

Im Zuge der Entwicklungen nach Kriegsende 1945 musste die Familie von Jagow Calberwisch verlassen, das Schloss wurde zunächst als russisches Lazarett, Unterkunft von Kriegsflüchtlingen bzw. Neubauern, später als Kindertagesstätte, Konsum und Jugendclub genutzt, bevor es ab 1995 nach umfassender Restaurierung für einige Jahre ein Hotelrestaurant beherbergte. Inzwischen dient es wieder privaten Wohnzwecken.

An die Familie von Jagow, welche mehr als 400 Jahre als Gutsherren von Calberwisch die Geschicke des Dorfs wesentlich prägte, erinnert u. a. das Wappen, welches sich die damals noch eigenständige Gemeinde Düsedau im Jahre 2003 gegeben hat - wurde doch das Rad aus dem Familienwappen derer von Jagow als Symbol für den Ortsteil Calberwisch verwendet. Weitere Spuren dieser bedeutenden altmärkischen Adelsfamilie, welche vermutlich seit dem 17. Jhdt. auch das Patronat über die Kirche inne hatte, finden sich an und in der Kirche sowie auf dem sie umgebenden Friedhof, wo mehrere historische wie auch jüngere Grabdenkmale an Mitglieder der Familie erinnern.


Die Dorfkirche

Im nordwestlichen Bereich des Friedhofs erhebt sich der wahrscheinlich bereits im 12. Jahrhundert in Feldstein begonnene dreiteilige Kirchenbau, welcher in frühgotischer Zeit mit Saal und Turm aus Backstein vollendet wurde. Bereits von weitem fällt der schlichte, aber eindrucksvolle Ziergiebel am geraden Chorabschluss der kleinen Kirche ins Auge. An den aufsteigenden Ecken des Turmes und an allen Einfassungen der Nischen wechseln rot und schwarz glasierte Backsteine ab. Das heutige Glockengeschoss stammt vermutlich aus der Zeit einer Erneuerung um 1536. Das äußere Erscheinungsbild der Kirche einschließlich des Turms ist durch Wiederherstellungen und Umbauten im 18. und ausgehenden 19. Jhdt. allerdings noch mehrfach verändert worden. Auch die Ausstattung der Kirche stammt größtenteils aus der Zeit einer umfassenderen baulichen Wiederherstellung um 1880. Dennoch haben sich einige bemerkenswerte Teile aus früheren Jahrhunderten erhalten, darunter ein Gestühl der Spätrenaissance (jetzt im Chor) und Teile der Kanzel, welche vermutlich ursprünglich zu einem Altar (um 1715) gehörten.


Calberwisch vom 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts

Um 1800 lebten in Calberwisch 153 Menschen, die wirtschaftliche und soziale Struktur entsprach noch ganz den spätfeudalen Verhältnissen. Das Dorf war allerdings im Vergleich recht klein, bestand es doch nur aus fünf Bauern- und zwei Kossatenhöfen. Zwei Grundtendenzen des 19. Jhdt. - starkes Bevölkerungswachstum und zunehmende soziale Differenzierung lassen sich auch in Calberwisch nachweisen, allerdings nicht so ausgeprägt wie in vielen anderen Dörfern, wo in Bezug auf die Einwohnerzahl teils Zuwächse um bis zu 80 Prozent innerhalb des 19. Jhdt. zu verzeichnen waren.

Calberwisch verharrte demgegenüber noch lange auf annähernd dem Niveau vom Anfang des Jahrhunderts (1871: 154 Einw.). Erst seit dem Ende des 19. Jhdt. stieg die Einwohnerzahl etwas an (1895: 174, 1912: 177), fiel aber in den 1930er Jahren wieder ihren früheren Stand (1936: 152). Ein größerer Ausbau des Ortes durch Schaffung neuer kleinbäuerlicher Stellen wie andernorts fand hier nicht statt. Davon abgesehen, dass diese Entwicklung in den Wischedörfern weit weniger ausgeprägt war als in jenen der Höhe, ist dies sicherlich auf die Dominanz des Gutes zurückzuführen.

In den 1860er Jahren verfügte das Rittergut über knapp 355 Hektar steuerpflichtige Liegenschaften, die bäuerlichen Grundbesitzer zusammen über ca. 262 Hektar. Bereits 1842 und 1852 waren ein Ackerhof und ein Kossatenhof aufgekauft und zum Gut geschlagen worden. 1886 und 1901 folgten ein weiterer Kossaten- bzw. Ackerhof, so dass in der ersten Hälfte des 20. Jhdt. in Calberwisch neben dem Rittergut nur noch drei Ackerhöfe existierten. Die Dominanz des Guts kommt auch in der Einwohnerstruktur zum Ausdruck: Lag die Einwohnerzahl im Dorf bis in die 1880er Jahre noch über der des Gutsbezirks, so kehrte sich dies um die Wende zum 20. Jahrhundert um. 1895 hatte das Dorf 69 Einwohner in elf Haushalten, der Gutsbezirk dagegen 106 Bewohner in 19 Haushalten. 1912 betrug das Verhältnis sogar 43 zu 134, d. h. mehr als drei Viertel der Calberwischer Einwohner gehörten zum Gut.

Die verbliebenen drei Ackerhöfe, darunter der traditionsreiche Freihof Nr. 4, teilten das Schicksal vieler Wischehöfe jener Zeit. Bereits seit Beginn des 19.  Jhdt. war es in der Wische zu einer stetig wachsenden Zahl von Besitzwechseln bei den Gütern und großen Bauernhöfen gekommen, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jhdt. ihren Höhepunkt erreichte. Nicht selten gelangten Höfe, die oft über Jahrhunderte in Familienbesitz gewesen waren, in neue Hände und teils in den Besitz von Personen, die aus entfernten Gegenden stammten und Grundbesitz oftmals nur als Geldanlage erwarben. Der Calberwischer Ackerhof Nr. 6 verzeichnete zwischen 1846 und 1919 vier außerfamiliäre Besitzwechsel, der Freihof Nr. 4 zwischen 1887 und 1911 ebenfalls vier und auch der noch bis 1905 in Familienbesitz verbliebene Hof Nr. 7 gelangte damals in fremde Hände. Auf dem von Jagow’schen Besitz dagegen herrschte Kontinuität. Er umfasste zu Beginn des 20. Jhdt. etwa 430 Hektar, die drei Bauernwirtschaften im Ort bewirtschafteten jeweils zwischen 65 und 72 Hektar. Durch den hohen Grünlandanteil bedingt spielte sowohl auf dem Gut als auch auf den Bauernwirtschaften die Rinderzucht bzw. -haltung eine wesentlich größere Rolle als in anderen Dörfern der Gegend. Die beiden Güter Calberwisch und Uchtenhagen zusammen genommen hielten um 1920 293 Rinder, außerdem 274 Schafe.


Entwicklung während der Nachkriegszeit und in der DDR

1945/46 gelangten auch nach Calberwisch zahlreiche Evakuierte, Kriegsflüchtlinge und Umsiedler. Hatte das Dorf 1936 noch 152 Einwohner gezählt, so waren es im Dezember 1946 332, d. h. mehr als doppelt so viele. Viele von ihnen ließen sich als Siedler im Ort nieder, als zwischen Oktober 1945 und März 1946 sowohl das Rittergut als auch die drei größeren Höfe im Rahmen der Bodenreform enteignet und aus diesem Grundbesitz insgesamt 62 Siedlungen geschaffen wurden. Nach Abschluss der Aufteilung gab es im Ort keinen einzigen größeren Alt-Bauernhof mehr. Die Neusiedler wurden zunächst auf den enteigneten Grundstücken, viele davon im Schloss, untergebracht und parallel dazu mit dem Bau von Neubauernhäusern begonnen. 1950 verlor Calberwisch seine kommunale Selbständigkeit und wurde nach Düsedau eingemeindet.

Die Jahre bis 1960 standen dann auch in Calberwisch im Zeichen der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft. Nachdem die Bildung Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften bis zum Frühjahr 1960 flächendeckend abgeschlossen war, folgte in der zweiten Hälfte der 1960er und insbesondere die erste Hälfte der 1970er Jahre eine Phase, in welcher die Bildung von Kooperationen im Mittelpunkt stand. Zum Januar 1972 wurden auch die inzwischen vereinten Genossenschaften Calberwisch/Düsedau „Wische der Zukunft“ und „Goldener Morgen“ Walsleben/Uchtenhagen zu einer solchen Kooperation vereint, welche nun insgesamt 2.200 Hektar bewirtschaftete. Mit der ebenfalls in den 1970er Jahren eingeleiteten Spezialisierung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften wurde Calberwisch einer der Standorte der LPG Tierproduktion Düsedau. Gegen Ende der 1980er Jahre befanden sich im Dorf je zwei Kuh- und Färsenställe mit einer Gesamtkapazität von 500 Tieren. Die Düsedauer LPG (T) gehörte nun zur Kooperation Osterburg, welche 6.335 ha LN bewirtschaftete. Trotz zahlreicher Verbesserungen der Lebenssituation wie der Befestigung und Beleuchtung der Ortsdurchfahrt, der Einrichtung einer Kinderkrippe und einer Konsumniederlassung, die nicht zuletzt mit Unterstützung der LPG erzielt wurden, blieben andere dringende Aufgaben wie die Schaffung einer zentralen Trinkwasserversorgung während der gesamten DDR-Zeit ungelöst.


Calberwisch nach der „Wende“ von 1989/90

Neben Demokratie und Freiheit brachte sie auch erhebliche ökonomische und soziale Umbrüche mit sich. Der drastisch gesunkene Arbeitskräftebedarf in der Landwirtschaft, den gewerblichen Betrieben, aber auch öffentlichen Einrichtungen der näheren und weiteren Umgebung führte anfangs zu einer hohen Arbeitslosigkeit. Dies beschleunigte die bereits in den 1970/80er Jahren begonnene negative demografische Entwicklung zusätzlich. Dennoch ist die Landwirtschaft nicht aus Calberwisch verschwunden. - Aus der LPG wurde die Agrargenossenschaft Düsedau gebildet, welche zu einem modernen Landwirtschaftsbetrieb entwickelt wurde. Positiv auf die Entwicklung des Dorfs wirkte sich außerdem der Mitte der 1990er Jahre erfolgte Übergang des Schlosses in Privatbesitz und dessen Sanierung und Umgestaltung zu einem Hotel und Restaurant aus. Nicht nur zu den beliebten Mai - Bowlen auf Schloss Calberwisch kamen Besucher aus der ganzen Region und darüber hinaus. Daher bedeutete die Aufgabe des Hotel- und Restaurantbetriebs einen erheblichen Verlust auch an touristischer Attraktivität für das Dorf. Inzwischen dient das Schloss ausschließlich privaten Wohnzwecken. Dass es sich in Calberwisch - abseits vom Durchgangsverkehr und doch nahe der kleinen Stadt Osterburg - dennoch gut leben lässt, zeigt die Tatsache, dass mittlerweile die meisten Grundstücke liebevoll saniert worden sind und auch junge Familien hier ihr Zuhause haben.


Text: Corrie Leitz (Historikerin)
Diese Ortsbeschreibung wurde mit freundlicher Unterstützung des Landes Sachsen-Anhalt im Rahmen des Tourismusprojektes 2015-2017 erstellt.